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Modul 4: Vielfalt

Luc Degla: Gedichte

A man wearing glasses and a black jacket.
Luc Degla [Copyright: All Rights reserved]

Wer ist Luc Degla?

“Ich bin im westafrikanischen Benin geboren und groß geworden. Mit zwanzig ging ich in die Sowjetunion um Maschinenbau zu studieren. Nachdem die Union zusammenbrach, kam ich nach Braunschweig, um mein Studium fortzusetzen, wo ich es an der TU Braunschweig als Diplom-Wirtschaftsingenieur Maschinenbau abgeschlossen habe. Bis zu meinem Abschluss hatte ich in Braunschweig in einer Diskothek namens Burundi Black gearbeitet. Ich übernahm die Leitung nach dem Tod meines Chefs und lernte damit das Handwerk eines Gastwirts. Als ich von 2005 bis 2009 vergeblich eine Stelle als Ingenieur in der BRD und in Benin gesucht habe, beschloss ich eine Karriere als Schriftsteller zu versuchen. Ich schrieb ein kleines Heft, das auf große Resonanz in den Hochschulen stieß: Dein neues Leben (ein fiktives Gespräch mit meinem Neffen, der nach Deutschland reist, um zu studieren) und Airbags gegen die Fremdenfeindlichkeit. Nachdem ich festgestellt hatte, dass die Bestellungen weniger wurden, habe ich beschlossen, eine Einrichtung zu eröffnen, in der man etwas besorgen kann, das man täglich braucht: Eine Gaststätte, die für mich einer Art Büro gleicht. Man kann zu mir kommen und diskutieren, oder eben ein Bier trinken oder eine Currywurst essen: Das Sowjethaus. Meine Bücher handeln von der Liebe, der Migration, im Allgemeinen vom Alltag. Sie sind kurzweilig, aber sie regen auch zum Nachdenken an.
 Ich freue mich auf Ihren Besuch. Luc Degla”

 

PARTNERGESPRÄCH

  1. Woher kommt Luc Degla und was hat ihn nach Deutschland geführt?
  2. Wie alt war er, als er sein Heimatland verlassen hat?
  3. Was hat er zuerst in Deutschland gemacht?
  4. Was macht er heute?
  5. Was war der erste Text, den Luc Degla geschrieben hat?
  6. Luc Degla schreibt Literatur in deutscher Sprache, obwohl er mit einer anderen Sprache groß geworden ist. Kennen Sie andere Autoren, die Literatur in Sprachen schreiben, die nicht ihre Muttersprachen sind? Was denken Sie, warum schreiben manche Autoren lieber in einer gelernten Sprache, als in ihrer Heimatsprache?

Im folgenden können Sie zwei Gedichte von Luc Degla lesen. [Die Gedichte sind mit Erlaubnis des Autors abgedruckt und dürfen nicht vervielfältigt werden. Copyright liegt beim Autor.]

 

Die Tode

Der erste Tag beginnt

Ich verkünde meine Reisepläne

Ich habe große Hoffnungen

Alle meinen es gut mit mir

Dies ist mein erster Tod

 

Mein Bruder besetzt mein Zimmer

Mein Cousin holt den Schrank weg

Mein Freund nimmt mein Mädchen

Nur mein Schatten bleibt

 

Der zweite Tag erwacht:

Die Gesichter sind neu

Der Duft ist mir neu

Das Wetter ist neu

Das Licht ist neu

Die Logik ist neu

 

Der dritte Tag ist sonnig

Mein Antrag ist angenommen

Ein Lächeln

Der Antrag wird bearbeitet

Skepsis

Der Antrag ist zurückgewiesen

Schweigen

Angenommen ist nicht gebilligt!

 

Der vierte Tag ist dunkel

In der Savanne

Ist mein Name vergessen

Die Neugeborenen sind mir noch fremd

Mein Schatten wird dunkler

Ich bin nicht mehr da

Mein zweiter Tod

 

Der fünfte Tag ist erdrückend

Lieblos

Und ich habe viel Zeit

Bei Tag und bei Nacht

Irre ziellos vom Amt zur Stadt

Von der Stadt zum Amt

Das Leben verfault

 

Der sechste Tag ist erleuchtend

Die Helfer kommen

Sie sind aber machtlos

Sie haben kein Geld

Sie spenden mir Trost

Aber das reicht nicht aus!

 

Der siebte Tag versinkt

Ich begrabe meine Hoffnungen

Mein Herz rast

Mein Nächte werden kürzer

Es gibt kein Zurück

Es ist der vorletzte Tod

Oder der letzte?

[In: Degla, L. (2015). Frechheiten. Gedichte. Mohito Verlag. S. 8-9. All rights reserved by author.]


FRAGEN ZUM GEDICHT

  1. Wie gefällt Ihnen das Gedicht?
  2. Was symbolisieren die verschiedenen Tage im Gedicht?
  3. Inwiefern könnte das Gedicht das Leben eines Migranten oder Flüchtlings widerspiegeln? Sehen Sie Parallelen zu dieser Thematik?
  4. Wie verändern sich Gefühle des lyrischen Ichs im Laufe des Gedichts?
  5. Was passiert mit den Hoffnungen des lyrischen Ichs?
  6. Was glauben Sie, was bedeuten die „Tode“ im Gedicht? Wie viele gibt es und wann passieren Sie? Wie könnte man sie verstehen?
  7. Welche Bedeutung hat der Schatten, der in verschiedenen Teilen des Gedichts erwähnt wird?
  8. Das lyrische Ich spricht davon, dass sein Name vergessen wird. Wie könnte sich Migration auf die Identität der Migranten auswirken?
  9. Das Gedicht hat fast keine Satzzeichen. Was denken Sie, warum hat der Autor keine Satzzeichen verwendet? Wäre das Gedicht anders, wenn es Satzzeichen geben würde?

 

An meine Frau in der Heimat

Dir meine Liebe

Dir wünsche ich

Dies nicht:

Das Gefühl des Nichts-Seins

Das Gefühl des Nichts-Habens

 

Du bist nichts

Du bist weder Bürger noch Fremder

Du zählst nicht

Du bedeutest nichts

Dich kennt keiner

Dich will keiner

 

Du hast nichts

Du hast weder Freiheit noch Willen

Die Geier wollten das Nichts

Die Neider sehen das Nichts

Denen sagst du

Dass du nichts hast

Da denken sie

Du hast alles

 

Dem Nichts folgt

Der Wunsch nach

Dem ewigen Nichts

Dein Grab bekommt auch nichts

[In: Degla, L. (2015). Frechheiten. Gedichte. Mohito Verlag. S. 10]


FRAGEN ZUM GEDICHT

  1. Wie gefällt Ihnen das Gedicht?
  2. Wem ist das Gedicht gewidmet und was wünscht das lyrische Ich dieser Person (nicht)?
  3. Was denken Sie, was könnte der Kontext dieses Gedichts sein? Wo könnte das lyrische Ich sein?
  4. Die zweite Strophe hat viele Negierungen. Was hat oder ist das lyrische Ich nicht?
  5. Wie ist die Stimmung in diesem Gedicht?
  6. Welche Bedeutung könnte das „Nichts“ im Gedicht haben?
  7. Inwiefern könnte dieses Gedicht die Situation eines Menschen im Exil oder eines Migranten repräsentieren? Sehen Sie Parallelen zu solchen Situationen?

LUC DEGLA LIEST VOR

Im folgenden Video (Start 0:20) liest Luc Degla aus seinem Werk vor. Schauen Sie sich das Video an. Worum geht es in dem Text, den Luc Degla vorliest?

 

Tägliches Vokabular

 

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Wurzeln und Wege Copyright © by Theresa Schenker is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial 4.0 International License, except where otherwise noted.

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