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Modul 4: Vielfalt

Hintergrund: Gastarbeiter

EDEKA: VIELFALT

Unten sehen Sie eine Werbung der Supermarkt-Kette “Edeka” aus dem Jahr 2017. Was ist Ihrer Meinung nach die Botschaft dieses Videos?

 

VOKABELN ZUM THEMA

In den Dialogkarten finden Sie einige neue Vokabeln zum Thema Gastarbeiter. Schauen Sie sich die neuen Vokabeln an und üben Sie die Vokabeln mit der folgenden Übung.

 


Vor 60 Jahren: Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei[1]

27.10.2021 [Redaktion Bundeszentrale für Politische Bildung]

Am 30. Oktober 1961 unterzeichneten die Bundesrepublik und die Türkei das deutsch-türkische Anwerbeabkommen. Es regelte die zeitlich begrenzte Entsendung von Arbeitskräften aus der Türkei nach Deutschland. Bis zum Anwerbestopp 1973 kamen etwa 870.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus der Türkei in die Bundesrepublik. Etwa eine halbe Millionen Menschen gingen im gleichen Zeitraum zurück. In den folgenden Jahrzehnten migrierten viele weitere Menschen aus der Türkei, darunter die Familien der angeworbenen Arbeitskräfte. Das wirtschaftliche Abkommen wurde somit zum Beginn eines migrationspolitischen und gesellschaftlichen Wandels.

Wirtschaftliche Ziele in den 1960ern

Anfang der 1950er-Jahre erlebte die Wirtschaft der jungen Bundesrepublik einen enormen Aufschwung. Zunächst wurden im Berg- und im Straßenbau dringend Arbeitskräfte gesucht, dann in der Industrie. 1960 standen in der Bundesrepublik 150.000 Arbeitssuchenden rund 650.000 offene Stellen gegenüber. Lange Zeit konnte die westdeutsche Wirtschaft Teile des steigenden Bedarfs mit geflüchteten Arbeitskräften aus der DDR decken, was jedoch mit dem Mauerbau 1961 endete. Die Türkei befand sich seit Mitte der 1950er-Jahre in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Die Arbeitslosigkeit war extrem hoch. Als 1960 die türkische Presse berichtete, dass die Bundesrepublik 15.000 türkische Arbeiter anwerben wolle, um in den Ford-Werken in Köln zu arbeiten, waren die Bereitschaft und das Interesse groß. Ein Vorbild für das deutsch-türkische Anwerbeabkommen war das 1955 unterzeichnete Deutsch-italienische Anwerbeabkommen. 1960 folgten solche mit Spanien und Griechenland, dann im Laufe der 1960er-Jahre mit Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien . Mit den Abkommen konnten die Arbeitslosenzahlen in den Herkunftsländern gesenkt werden. Ihre Wirtschaft profitierte zudem von den Devisen, die die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihre Heimat schickten.

“Gastarbeiterinnen” und “Gastarbeiter”

Die Anwerbung sollte aus politischer Perspektive nicht zu einer dauerhaften Niederlassung der Arbeitskräfte führen, weshalb die Arbeitsverträge zunächst befristet waren. Hierher rührt auch die Bezeichnung „Gastarbeiter“. Die überwiegend jungen, männlichen Angeworbenen wurden zumindest in den ersten Jahren oft für harte körperliche Arbeit in der Industrie eingesetzt. Ihre Arbeitsstätten wechselten oft und sie lebten häufig in Baracken oder Sammelunterkünften auf engstem Raum. Viele kamen zunächst ohne Familie. Vor der Einreise mussten sie sich akribischen medizinischen Untersuchungen stellen, die einige von ihnen mit der Musterung beim Militär verglichen. Das in den Abkommen verankerte Rotationsprinzip sah vor, dass sie nach Ablauf der Aufenthaltsfrist in die Heimatländer zurückkehren und andere an ihre Stelle treten sollten. Viele Unternehmen setzten dieses Prinzip jedoch bald aus wirtschaftlichen Gründen aus, um gut eingearbeiteten Arbeiterinnen und Arbeiter länger zu beschäftigten.

Ölkrise und Anwerbestopp

Als Folge der Ölkrise und der daraus resultierenden wirtschaftlichen Stagnation verfügte die Bundesregierung im November 1973 einen Anwerbestopp. Dadurch sollte ein Überangebot an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt verhindert werden. Während einige Arbeiterinnen und Arbeiter aus Südeuropa in ihre Heimatländer zurückkehrten, blieben viele türkische Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Westdeutschland. Grund dafür waren politische und wirtschaftliche Unsicherheiten in der Türkei: Militärputsch sowie Hyperinflation. Zwischen 1974 und 1980 zogen viele Familienmitglieder aus der Türkei, mehrere Hunderttausend zumeist Frauen und Kinder nach Deutschland, sodass die Zahl der türkischen Staatsbürger auf 1,4 Millionen anwuchs. 1980 flohen aufgrund des Militärputsches Zehntausende Menschen aus der Türkei nach Deutschland, um Asyl zu beantragen – viele davon waren verfolgte Intellektuelle.

Integraler Bestandteil der Gesellschaft

Die Bezeichnungen “Gastarbeiterinnen” und “Gastarbeiter” spiegelten das politische und gesellschaftliche Klima der damaligen Bundesrepublik wider. Lange spielten Fragen der Integration wie die nachträgliche Qualifizierung der Arbeitskräfte keine Rolle in der politischen Debatte. Der Fokus in den 70er Jahren lag auf der Erhaltung des Anwerbestopps und der “Rückkehrförderung”. Aus dem Versäumnis einer aktiven Integrationspolitik in den 1980er Jahren folgten strukturelle Benachteiligungen der migrierten Türkinnen und Türken, die sich bis heute auf die soziale Situation auswirken. So hatten und haben Menschen mit türkischem Migrationshintergrund beispielsweise noch immer schlechtere gesellschaftliche Aufstiegschancen. Zudem erleben und erlebten sie Ausgrenzung und Rassismus und waren immer wieder Opfer rechtextremer Gewalttaten. Die Brandanschläge in Solingen und Mölln in den 1990er Jahren und die Mordserie des NSU in den 2000er Jahren haben bis heute tiefe Wunden hinterlassen. Derzeit leben etwa drei Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Deutschland – das heißt, sie selbst oder ihre Eltern wurden nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren – und bilden somit die größte der Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiers Rede zum Festakt der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) anlässlich des 60. Jahrestages des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens am 5. Oktober 2021 setzt einen Paradigmenwechsel fort. Steinmeier wirbt dafür, die Lebensleistung der nach Deutschland gekommenen Türkinnen und Türken anzuerkennen, jeder Form von Diskriminierung und Alltagsrassismus entschieden entgegenzutreten und für Chancengleichheit für Menschen mit Migrationshintergrund einzutreten. Die Menschen der zweiten, dritten und vierten Generation hätten ihren festen Platz in der Mitte der Gesellschaft und er pointiert: “Sie sind eben nicht “Menschen mit Migrationshintergrund”. Sondern Deutschland ist ein Land mit Migrationshintergrund geworden. Und es ist höchste Zeit, dass wir uns dazu bekennen.” 1995 hat sich die TGD gegründet. Sie setzt sich für die Interessen türkischstämmiger Menschen in Deutschland ein und vertritt diese gegenüber der Politik und Öffentlichkeit. Atila Karabörklü, Bundesvorsitzender der TGD, spricht zum Festakt von Dankbarkeit und Stolz der ersten Generationen, “für die Chance, ein gutes, ein besseres Leben in Deutschland führen zu können.” In seiner Rede kritisiert Karabörklü aber auch die fehlende Erinnerungskultur in der Gesamtgesellschaft, die mangelnde Wertschätzung der erbrachten Leistungen und migrationspolitische Versäumnisse: “Es gibt auch eine lange Reihe schmerzhafter Erfahrungen, die ihren Platz im kollektiven Gedächtnis der Deutschtürken einnehmen und die damit auch Teil unserer gemeinsamen Geschichte sind.”

FRAGEN ZUM TEXT

  1. Sammeln Sie im Text Wörter zum Thema “Gastarbeiter” und erstellen Sie mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin ein Mindmap mit den Wörtern.
  2. Wann wurde das deutsch-türkische Anwerbeabkommen unterzeichnet?
  3. Wie viele türkische Arbeitskräfte kamen bis zum Anwerbestopp 1973 nach Deutschland?
  4. Warum und für wie lange sollten die Gastarbeiter nach Deutschland kommen?
  5. Was war der Grund für den Anwerbestopp im Jahr 1973?
  6. Warum kehrten viele türkische Arbeitnehmer nicht in die Türkei zurück?
  7. Welche Schwierigkeiten hatten türkische Migranten in Deutschland?
  8. Was passierte zwischen 1974 und 1980?
  9. Wie unterschied sich die Integrationspolitik der 1960er Jahre von der der 1980er Jahre?
  10. Wie viele Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben derzeit in Deutschland?

VIDEO: GASTARBEITER

Schauen Sie sich das Video an und beantworten Sie dann die Fragen!

  1. Wann kam Mustafa nach Deutschland? Wie alt war er damals?
  2. Was hat Mustafa zuerst in Deutschland sehr überrascht?
  3. Mit welchem Land gab es das erste Anwerbeabkommen? Welche Länder folgten?
  4. Was fanden die Gastarbeiter in Deutschland schwierig?
  5. Was sagt Mustafa über sein Leben in Deutschland?
  6. Wie fühlt sich Mustafa in Deutschland und wie fühlt er sich in der Türkei?

 

GRUPPENPROJEKT: LIEDVORSTELLUNG

VIDEO: KINDER DER GASTARBEITER

Schauen Sie sich das Video an und beantworten Sie dann die Fragen!

  1. Welche Frage hört Melih immer wieder?
  2. Was denkt Melih über Heimat? Wo ist seine Heimat? Wie spricht er Türkisch und Deutsch?
  3. Welche Probleme beschreibt Selin von der Grundschule?
  4. Welche Probleme kann man wegen seines Namens haben?
  5. Warum bezeichnet sich Selin nicht als Deutsche, sondern als Berlinerin?
  6. Was sagt Yasin über Deutschland und Berlin?

 

PARTNERGESPRÄCH

  1. Welches Lied gefällt Ihnen am Besten?
  2. Welche Gefühle drücken die Lieder aus?
  3. Was denken Sie, wie ging es den ersten Gastarbeitern in Deutschland? Wie fühlen sich die Kinder der Gastarbeiter in Deutschland heute? Welche Probleme werden in den Liedern angesprochen und in dem Video besprochen?
  4. Was denken Sie, wie hat die Gastarbeiterbewegung Deutschland beeinflusst und wie beeinflusst sie Deutschland noch heute?
  5. Gab es ähnliche Migrationsbewegungen in Ihrem Heimatland?
  6. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für Migranten in Deutschland? Was sind große Herausfoerderungen in Ihrem Heimatland?
  7. Wie wichtig ist es, die Geschichte der Gastarbeiterbewegung zu kennen, um das heutige Deutschland besser zu verstehen?
  8. Denken Sie, dass Migration heute wichtiger oder weniger wichtig ist als in den 1960er Jahren, als die Gastarbeiterbewegung begann?

Vokabular zum Thema Vielfalt (Teil 3)

 

Tägliches Vokabular
Tägliches Vokabular – Asynchron

 


  1. Textquelle Bundeszentrale für Politische Bildung: https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/342651/vor-60-jahren-anwerbeabkommen-zwischen-der-bundesrepublik-deutschland-und-der-tuerkei/. Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht.

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Wurzeln und Wege Copyright © by Theresa Schenker is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial 4.0 International License, except where otherwise noted.

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